Renate Herter

Umgraben der Gegenwärtigkeit von Julia Wallner

Renate Herters Bildzyklus FREMDE HAUT von Julia Wallner

Die Kinder / Passage gegen das Vergessen Rainer Zendron im Gespräch mit Renate Herter

Monte F.C. von Martin Hochleitner

Auffaltungen im räumlichen Gefüge von Genoveva Rückert

Text-(Ver)Ortungen. von Barbara Paul

 

 

Julia Wallner

Umgraben der Gegenwärtigkeit

„Wer sich der eignen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten wie ein Mann, der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen, immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurückzukommen – ihn auszustreuen wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich umwühlt.“ Walter Benjamin: Ausgraben und Erinnern, 19321

Seit den 1980er-Jahren beschäftigt sich Renate Herter mit der Gegenwart der Vergangenheit, sie ist im Benjaminschen Sinne „eine Frau, die gräbt“. Ihre Arbeiten legen ein sich verhandelndes Netz von Begriffen aus, mit denen sie einen Prozess der Verlebendigung anstößt. Diese Idee folgt der Vorstellung eines fortwährenden Dialogs mit der Vergangenheit, die sich an Orte der Erinnerung koppelt oder diese aus der Aktivierung ihrer Spuren schafft.

Ihr Entwurf einer Arbeit zum Gedenken an den Komponisten Siegfried Translateur mit dem Titel Was bleibt setzt als visuelle Markierung lediglich eine gebrochene Notenlineatur im Boden des sich stetig neu überformenden urbanen Raums in Berlin Schöneberg.2 Teil des Konzeptes ist es, dass sich Gruppen von Musikschüler/innen oder Studierenden der UdK vor Ort mit der Musik Translateurs beschäftigen, der 1943 als Opfer des nationalsozialistischen Terrors in Theresienstadt zu Tode kam. Vor allem seine eingängige Komposition Wiener Praterleben, der in Berlin als Sportpalastwalzer durch das legendäre Sechstagerennen populär wurde, war einer der Ausgangspunkte für Renate Herters Überlegungen. Der Walzer als harmloses oder sogar verharmlosendes Musikstück erscheint in ihrem Wettbewerbsbeitrag durch die partizipative Öffnung in den Stadtraum temporär verlebendigt. Die Komposition ist durch den biografischen, ortsbezogenen Kontext zugleich Teil einer komplexen Stadtgeschichte, in der sich Ideen des sportlichen Wettkampfes und die wahnhaften Vorstellungen rassischer Überlegenheit an einem Ort verbinden: rief Goebbels doch 1943, im Todesjahr des Komponisten, in seiner „Sportpalastrede“ zum „totalen Krieg“ auf. Als „elliptische Tretmühle“ betitelte der Berliner Journalist Egon Erwin Kisch in den 1920er-Jahren den Sportpalast als Ausrichtungsort des Berliner Sechstagerennens. Es ist nicht die Ausweglosigkeit des Allgegenwärtigen, die Renate Herters Arbeit fruchtbar für den öffentlichen Raum und seinen Diskurs macht, es ist dieses Aufspüren jener elliptischen Kraft, deren Gewalt auch in der Gegenwart auf unsere Körper wirkt der sie aber etwas entgegensetzt, das jenseits der Sprache Zeichen findet. Das Kunstwerk öffnet eine historische Schwelle, der Raum der Erinnerung wird durch den Klang geschaffen. Sie selbst benennt dieses Verfahren, das sie zuvor an verschiedenen Orten und in verschie- denen Kontexten entwickelt hat, als Körperklangraum. Der abwesende Körper wird durch eine nicht fassbare Präsenz vergegenwärtigt.

Das von ihr in verschiedenen Klanginstallationen bearbeitete Thema der Auseinandersetzung mit der Geschichte als Definitionsmacht, die ein körperhaftes Individuum regelrecht überformen kann, sucht Renate Herter bereits in früheren Werken gezielt im Translozieren von Wörtern und Begriffen aus ihrem historischen Kontext und Bedeutungszusammenhang. Im Rahmen ihrer Ausstellungen seit 1993 in Linz, wo sie als Professorin für ‚Bildhauerei – transmedialer Raum‘ wirkte, untersuchte sie alltagssprachliche Begriffe wie „Hitlerbauten“ oder „Brückenkopfgebäude“, die nach ihrer Beobachtung noch immer, auch von Studierenden, weitgehend unreflektiert verwendet wurden.3 Regelmäßig greift die Künstlerin in den folgenden Jahren auf Text als Grundlage ihrer Arbeit zurück, oft in dem sie ihn als Medium nutzt um die Gegenwart umzugraben, zu befragen, ihr in ihrer Prozesshaftigkeit zu begegnen. Sie selbst beschreibt das in einem Gespräch mit Rainer Zendron: „Jeder Raum spricht eine eigene Sprache, hat seinen eigenen ‚Text‘. Das zeigt sich für mich nicht nur in den Spuren der sich überlagernden Zeitschichten, sondern vor allem in den immateriellen Aspekten eines Raumgefüges, wie der Temperatur, dem Licht, den Gerüchen, den Tönen oder Bewegungslinien. Dieser immanenten Choreografie gehe ich nach, das ist – neben historischen und sozialen Aspekten – ein wichtiger Teil meiner Recherche und bildet die Grundlage für meine jeweilige künstlerische Konzeption.“4

2010 rekonstruiert sie im Werk Al niente/Bis zum Nichts die ehemalige Sammlung der Landesgalerie Linz, in dem sie verschiedene Titel der Exponate akustisch aneinanderreiht, ohne Hierarchie. „Futter-schneider“, „Ringkampfschwert“, „Tränenfläschchen“, „Tüllenmeissel“, „Soldatenschüssel“ werden ebenso wie „Phallusamulett“ zu verheißungsvoll poetischen Zeichen dekodiert, die zugleich einen historisch spezifisch fassbaren Denkraum öffnen, der an die vor Ort abwesenden Objekte rückgekoppelt ist. In Wortkomposita, ein recht einzigartiges Sprachmerkmal der deutschen Sprache, kartographieren die Begriffe in der Fachsprache von Historiker/innen einen militarisierten heteronormativen Kontext, in dem die Gewalt von der Funktionalität der Objekte ausgeht. Sie sind, wie der Körper, der den gegnerischen Waffen ausgeliefert standhalten muss, Verletzungen erfährt oder den Tod, in der Installation nicht anwesend, aber präsent, durch ihre Worte als Platzhalter vertreten. Wie eine derridasche Spur legt Herter diese Verweise offen, örtlich gebunden an ihren ehemaligen Ausstellungsraum (und nicht den ihrer ursprünglichen Herkunft), neutralisiert sie nicht, löst sie dennoch von ihrer ursächlichen Funktion. „Jede Spur ist Spur einer Spur. Kein Element ist jemals irgendwo anwesend (auch nicht einfach abwesend): es gibt nichts als Spuren.“5

Das Thema der Spur nimmt Renate Herter in der 2020 entstanden Video-Installation morgen wieder auf. Dabei überschreibt sie den eignen Körper mit assoziativen Begriffen, die während der Corona-Pandemie gewaltvoll in unseren Alltag eindrangen und erschreckend schnell Teil der Alltagssprache wurden. Ihre nackte Haut wird ihr zum Zeichengrund, auf dem sich Worte wie „Triage“, „Coronadaten“, „Risikogruppe“, „Kontaktkette“, „Systemrelevanz“ überlagern, bis sie sich unlesbar zu einem dichten Geflecht von Aussagen, Bedeutungen, Aufforderungen und Beobachtungen akkumulieren und so drohen entweder sich oder den darunterliegenden Körper auszulöschen.

Die kollektive Erfahrung der Pandemie in ihrer machtvollen gesellschaftlichen Dimension macht Herters Arbeit spezifisch dekodierbar. Sie ordnet sie einem Zeitgeschehen zu, das sich bereits zum Zeitpunkt der Entstehung fortwährend historisierte. Die Historizität des Geschehens entwickelte sich in einem ungewöhnlich reflektierten Prozess als ein kollektives Phantasma: Der Wunsch, „es“ möge vorübergehen, sich in der Geschichte nicht wiederholen – und zugleich offenbarte sich in der Erfahrung das Wissen um die Verwundbarkeit nicht nur des eigenen Körpers.

Neben diesen Arbeiten, die sich an der Sagbarkeit der Welt und der Beschreibung eines Verflochtenseins von Gegenwart und Vergangenheit reiben, entstehen zahlreiche Werke, die das Schweigen oder die Sprachlosigkeit thematisieren. Ihr eingenähter Raum 1994 im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien bezieht sich auf eine Aussage des Berliner Literaturwissenschaftlers Peter Szondi, der im Titel aus einem Brief an einen israelischen Freund zitiert wird: „Weil ich es verlernt habe, zu Hause zu sein“. Herters textile Topographie entzieht dem realen Raum seine örtliche Gebundenheit oder Spezifik. Sie ummantelt ihn von innen mit einer egalisierenden Haut, enthebt ihn der Wirklichkeit und transformiert ihn in eine imaginäre, eigentlich nicht zu fassende Ebene. Das Thema der Haut als Barriere und Schwelle, als Beziehung nicht nur vom Innen- zum Außenraum, sondern auch vom Ich zur Gesellschaft begleitet ihr gesamtes künstlerisches Schaffen, das dennoch nie subjektiv sein will, auch wenn es den oder die Einzelne meint.

Die skulpturale Arbeit mit dem eigenen Körper nimmt in Renate Herters künstlerischer Praxis in den letzten Jahren einen großen Raum ein. Die Werkserie Fremde Haut, im Titel angelegt an einen Text von Friederike Mayröcker6 , findet jüngst Fortsetzung in einer Reihe Eigensinnige Körper – heimliche Territorien. Erneut wird im Titel die Topografie des (eigenen) Körpers als Ort verstanden, der, wie ein Territorium ein Hoheitsgebiet ist, das sich jedoch in der Wahrnehmung als fotografierte Skulptur ent- fremdet. Ihre jüngste Serie führt die Verfremdung in neue Zusammenhänge, in dem sie montagehaft in extremer Nahsicht aufgenommene Körperfragmente zusammenbringt, die neue Formen und Assoziationen hervorbringen. Noch offensiver als in früheren Serien werden Hände und Füße, Finger und Zehen zu expliziten Verweisen auf Sexualität und Sexualorgane, die sich wie im Anatomiebuch detailgenau offenbaren. Das Ineinandergreifen und Pressen, das Ziehen und Dehnen, die Manipulation der Oberflächen durch die kraftvollen Druckpunkte gegen die Weichheit der Haut und darunter liegendem Fleisch erzeugt eigene, in der Überdeutlichkeit surreal erscheinende Wirklichkeiten. Die vor den weißen Laken bildnerisch herausgearbeiteten Konturen der Körper schaffen sich eine Eigengesetzlichkeit, als ginge es im Prozess tatsächlich um die Einnahme eines eigenen, heimlichen Territoriums. Die Grenzen und Übergänge von Innen und Außen werden in den Arbeiten machtvoll durchdrungen und auf nahezu absurde Weise durch immer unwahrscheinlichere Umstülpungen außer Kraft gesetzt.

An einem ähnlichen Punkt wie die Gruppe der Arbeiten mit Haut setzen die beiden fotografischen Serien studies of paradise und perfect world an. In fotografischer Präzision dokumentiert Renate Herter Texturen von urbanen Oberflächen, die von Rastern und geometrischen Flächen geprägt sind wie Fassaden aus Stahl und Glas oder Baugerüste. Im Verfahren der Montage amalgamiert sie eine Vielzahl von Einzelbildern modernistischer Baukörper in komplexer Perspektive zu fiktiven Raumskulpturen, die sich einem verlässlichen Maßstab und vorgeblicher Funktionalität entziehen. Gleich einer futuristischen neuen Spezies entwickeln die frei vor einem fiktiven Berliner Himmel schwebenden ortlosen Baukörper hart umrissene Räume mit filigranen grafischen Oberflächen und einer monströsen Monumentalität, auch Bedrohlichkeit, die sich aus der Geschlossenheit der Konstruktionen ableitet. Der von vielen Architekten (und einigen wenigen Architektinnen) der Moderne gesuchten Leichtigkeit und Transparenz im Bauen mit Stahlgerüst und Glas setzt Herter in ihren Bildern eine vielleicht schmunzelnde Antwort entgegen. Die machtvollen Topografien erscheinen wie mächtige Phalli und Vaginen und lassen ihre dystopische Botschaft unversehens ins Menschliche kippen – in einem anderen Szenario hat sich die Technik der Menschen entledigt und pflanzt sich ohne deren Zutun und jenseits menschlicher Einflusssphären sich selbst befruchtend fort.

 

1 Walter Benjamin, „Ausgraben und Erinnern“ (1932), in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. IV/1: Kleine Prosa/Baudelaire Übertragungen, hg. von Tillman Rexroth, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 400–401.

2 Der Entwurf für die Potsdamerstraße/Pallasstraße wurde mit dem 1. Platz ausgezeichnet, jedoch nicht umgesetzt.

3 Rainer Zendron im Gespräch mit Renate Herter, in: Die Kinder / Passage gegen das Vergessen, Weitra 2013, S. 60.

4 Zendron 2013 (wie Anm. 3), S. 61.

5 Vgl. Geoffrey Bennington: Jacques Derrida. Ein Portrait, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, S. 83.

6 „Als wäre die eigene Haut nicht schon Fremde genug“, Friederike Mayröcker: „Ich verliere mich so an die Menschen”, in: Friederike Mayröcker, Das besessene Alter. Gedichte 1986–1991, Frankfurt am Main, Suhrkamp 1992, S. 52.

 

Dr. Julia Wallner, Direktorin des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, Remagen

 

 

Julia Wallner

Renate Herters Bildzyklus FREMDE HAUT

„Als wäre die eigene Haut nicht schon Fremde genug“.1 Diese aus einem Gedicht von Friederike Mayröcker entlehnte Zeile nutzte Renate Herter vor etlichen Jahren für eine Installation in Linz, in der sie einer poetischen Spur der Selbstversicherung und Selbstentfremdung gefolgt war. Er ist ihren subjektiv forschenden Arbeiten, die sich seither in immer neuen Ansätzen fortschrieben, eine Art Motto geblieben. In ihrer jüngsten Serie ist es nun tatsächlich erstmals menschliche Haut, die Renate Herter zum physischen Ausgangspunkt ihrer Körpervermessungen macht. Nach einer langen Phase des installativen, ortsbezogenen Arbeitens greift sie dafür zurück zur Kamera als Arbeitsmittel.

Mit „Le temps qui reste“ betitelt sie eine zweiteilige Reihe von fotografischen Großaufnahmen ineinander greifender Hände, Füße, Finger und Zehen. In überstrahlter Nahsicht zeigt sie die verschränkten Gliedmaßen sich aneinander reibend, pressend, bohrend, quetschend und drückend. Durch die teils gewaltsamen Körperfriktionen entstehen an der Oberfläche Dehnungen, Faltungen und Straffungen der Haut, die mit der darunter liegenden weichen Körpermasse eine tiefgehende skulpturale Bearbeitung voller plastischer Höhen und Tiefen erfährt. Aus der bildtechnisch erzeugten Inversion des Hell-Dunkel-Kontrasts der monochromen Farbwelt resultiert eine lichte Überstrahlung der Berührungspunkte, -linien und -flächen der im Detail fragmentierten Körperteile. Diese besondere und dem natürlichen Abbild zuwiderlaufende Lichtführung erhöht die Plastizität und betont gleichsam die feinen Lineaturen und Faltungen der Haut an ihrer durch den physischen Eingriff manipulierten Oberfläche. Die abgebildeten Körperfragmente sind so weit durch die egalisierende Kameraeinstellung rhythmisiert und abstrahiert, dass sie nur schwerlich zu identifizieren oder einem lebendigen Körper zuzuordnen sind. Neben menschlichen Bildern erscheinen auch Elefantenhäute oder Giraffenhälse als Assoziationsräume – auch lässt sich nicht unmittelbar klären, ob nur
ein Körper abgebildet ist oder mehrere ineinandergreifende Körperumspannungen. Obwohl sich nach längerer Betrachtung das Thema des alternden Körpers klärt, sieht die Haut nicht an allen Stellen alt aus. Je nach Lichteinfall, Positionierung und Perspektive erscheinen manche Hände wie Kinderhände und es wirkt als verschränkten sich die Erzählungen der Lebensalter im Bild.

Dass der Blick ein subjektiv aneignender und eben auch bewusst autobiografischer Erzählfokus ist, wird möglicherweise noch deutlicher in der Serie der Porträts, die lediglich mit ihrem Entstehungsdatum, dem 02. Mai 2017, betitelt sind. Sie zeigen die Künstlerin, die sich jeweils mit einer Hand das Gesicht bedeckt. Die andere Hand ist so weit vom Körper abgestreckt (und folglich im Bild nicht sichtbar), dass sie aus einer frontalen Perspektive die Kamera halten und den Auslöser betätigen kann – das entstandene Bild selbst kann die Künstlerin erst im Nachhinein sehen. Sie ist Autorin und Objekt der Bilder, kann aber beide Rollen immer nur zeitlich versetzt wahrnehmen.

Den größten Teil der Bildfläche auf den annähernd lebensgroßen Einzelbildern nimmt jeweils die Hand selbst ein, mal ist es die rechte, mal die linke. Sie verdeckt wesentliche Teile des Gesichts und lässt nur Fragmente frei, beispielsweise die strengen Augenbrauen, Teilansichten der geschlossenen Augen oder Anschnitte von Mund und Kinn. Die Finger bohren sich teils invasiv in die Augenhöhlen oder in die Mundöffnung und ziehen, quetschen oder dehnen einzelne Hautpartien so, dass sich auch in dieser Serie von Fotografien skulpturale Effekte durch die eigenhändige Körpermodellierung verstärken. Das um den Kopf geschlungene Handtuch aus weißem Waffelpiqué, auf dem die Künstlerin auch liegt, dient ihr als in sich strukturierender Bildgrund. Aufgrund seiner geometrisch kühlen Stoffoberfläche bildet es einen beredten Gegensatz zu der intensiv warmen, kontrastreich fotografierten Oberfläche der Haut.

Barbara Paul schrieb über Renate Herters Arbeiten der 1990er-Jahre mit Bezug auf die Dichterin Friederike Mayröcker: „Dieses Oszillieren zwischen sichtbar und nicht-sichtbar korrespondiert mit der ebenfalls wechselnden Einschätzung der eigenen Haut als etwas Fremdem, auch Fremd-Gewordenem oder zumindest temporär Fremd-Empfundenem, obwohl es sich doch stets um die eigene, das heißt körpereigene, aber wohl veränderte, etwa älter gewordene Haut handelt.“2

Obwohl Renate Herters Herangehensweise sich in den hier besprochenen jüngsten Arbeiten erheblich unterscheidet von früheren Werkserien, wird doch deutlich, dass sie nah an ihrem eigentlichen Thema geblieben ist. Möglicherweise hat sie sich dieses noch näher erschlossen, angeeignet, und damit auch eine Grenze bewusst mißachtet und durchschritten.

Bereits früher hat sie ihren eigenen Körper zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen
Auseinandersetzung gemacht, beispielsweise in jenen performativen Akten, die Grundstoff ihrer Installationen und Filme wurden. Das Geräusch des eigenen Atems beispielsweise wurde von ihr als eindringliche Tonspur aufgezeichnet, um eine gleichzeitige Präsenz des Lebendigen und des Toten zu evozieren, insbesondere in der von ihr in der Vergangenheit oftmals verhandelten Topographie des Erinnerns.

Genoveva Rückert hob diesen Aspekt ihrer Arbeit in ihrer Werkbeobachtung besonders hervor: „In vielen ihrer Arbeiten geht es um die Verbindung von Innen und Außen, um „Erinnerungsarbeit“, das Offenlegen und Erfahrbarmachen von Vergangenheit in einer spezifisch weiblichen Sichtweise.“3 Rückert verknüpft die Herangehensweisen Herters mit einem spezifisch weiblichen Diskurs, einer feministischen Lesart, der sich die Künstlerin selbst in ihren Äußerungen immer nahe stehend offenbarte.

In einer Serie vom September 2017 erscheint es, als habe die Künstlerin die letzte Distanz zum eigenen Körper als Objekt der Darstellung wie der Begierde gebrochen und damit das Spiel um die Haut als Grenze und Hülle noch weiter und bewusster ausgereizt. In einer Serie von intimen Nahsichten, in der eine Hand die Hautfalten zwischen den Oberschenkeln anhebt, zusammenschiebt und forschend in alle Richtungen dehnt und zerrt, rückt sie sich selbst auf den Leib – der voyeuristische Blick von außen ist gleichsam ein eigener Blick, der sich aus Fremdheit und Distanz ebenso speist wie aus unmittelbarer Nähe.

Gewaltsame wie friedvolle Aspekte wechseln sich in der Schonungslosigkeit der Darstellung ab. Eine Serie aus dem September 2018 zeigt sie auf einem Fliesenboden liegend, das Gesicht durch ein medizinisch anmutendes weißes Netz mit dem Boden verschraubt, die eigenmächtige Hand erscheint auch hier aggressiv zupackend und beinahe wie dem eigenen Körper nicht zugehörig. Der Raum des Körpers wird fast vollständig von einer Struktur überdeckt. Die weisse Farbe der geometrischen Fliesen und des durch Löcher gerasterten Netzes greift das Thema ihrer vernähten Räume und Gegenstände aus früheren Installationen der Künstlerin erneut auf. Es erscheint mehr als konsequent, dass sie Erinnerung nicht nur an die unmittelbare aber allgemeine Erfahrung von Raum und Körper bindet, sondern auch an den eigenen Körper und seine lebendige Präsenz.

 

1 Friederike Mayröcker: Ich verliere mich so an die Menschen, in: Friederike Mayröcker, Das besessene Alter. Gedichte 1986–1991, Frankfurt am Main, Suhrkamp 1992, S. 52

2 Barbara Paul: Text-(Ver)Ortungen. Zu Renate Herters transmedialen Rauminstallationen, in: Renate Herter, Das Gedächtnis der Dinge, Kunstuniversität Linz 2008, S. 5–13

3 Genoveva Rückert: Auffaltungen im räumlichen Gefüge. Zum Werk von Renate Herter, in: Renate Herter, Monte F.C., Katalog zur Ausstellung in der Landesgalerie Linz am Oberösterreichischen Landesmuseum, Bibliothek der Provinz 2010, S. 51–60

 

Dr. Julia Wallner ist Direktorin des Georg Kolbe Museums in Berlin

 

 

Rainer Zendron im Gespräch mit Renate Herter

Die Kinder / Passage gegen das Vergessen

Wenn ich mir dein Werk der letzten Jahrzehnte vor Augen führe, so beschäftigst du dich immer wieder intensiv mit dem Fragenkomplex „Verdrängen–Erinnern– Vergessen“. Du hast 2013 zwei wichtige Werke realisiert, die sich mit ermordeten Häftlingsgruppen bzw. Personen des Konzentrationslagers Gusen beschäftigen. Wie hat es sich ergeben, dass du als international tätige Berliner Künstlerin so tief in die Geschichte dieses österreichischen NS-Vernichtungslagers eindringst?

Als ich zum ersten Mal in Linz ausstellte, das war 1993, lernte ich Heimrad Bäcker kennen. Er hatte die Dekonstruktion der „Täter-Sprache“ zu seiner Lebensaufgabe gemacht, die minimalistischen Texte, die er freilegte, kombinierte er auch mit Fotos von Gusen, wie der so genannten Steinbrecherwand. Durch ihn wurde Gusen für mich präsent. Mir schien seine Arbeit und Haltung in Linz singulär zu sein. Aus dem Diskurs gewohnten Berlin kommend, war der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Stadt – die als 40er Jahre Militaria an den Samstagen auf den Flohmarkttischen mitten im Zentrum ungeniert auftauchte – eine irritierende Er- fahrung. Alltagssprachliche Begriffe wie „Hitlerbauten“ oder „Brückenkopfgebäude“, die auch von den Studierenden, mit denen ich an der Kunstuniversität arbeitete, unreflektiert verwendet wurden, waren zunächst der Anlass für einige Projekte, in denen wir Fragen zum kulturellen Gedächtnis stellten und die Verbindungslinien zwischen Linz und Mauthausen untersuchten. Das hat mich dann einige Jahr beschäftigt: Die Existenz der drei ehemaligen KZ-Außenlager, die intensive Bau- tätigkeit der End-30er und 40er Jahre, die wesentlich auf Zwangsarbeit und Aus-beutung der Häftlinge aus den Konzentrationslagern Mauthausen und Gusen basierte, die Stollenanlagen in Linz, deren Ausbau ebenfalls KZ-Häftlinge leisten mussten, Stollen, in denen zeitweise kriegswichtige Industrie untergebracht war und in denen sich eines der Außenlager befand. An Gusen habe ich mich mit meiner künstlerischen Arbeit erst relativ spät herangewagt. Meine Erfahrungen bei der Begehung des Audiowegs von Christoph Mayer und seinem Projektteam haben dann zu weiteren künstlerischen Überlegungen geführt.

Künstlerische Arbeiten, die sich mit vergleichbaren Themen auseinandersetzen, sind meist auf differenten Polen angesiedelt: Entweder agieren sie mit einem pathetischen Impetus, oder als strenge „kristalline“ Konzeptkunst. Wenn ich nun ein Werk von dir anschaue, so hat es immer auch eine sehr sinnliche Ausstrahlung, eine atmosphärische Dichte, welche die Betrachter/innen auch emotional ins Thema holt. Zugleich ist bei genauer Betrachtung und Reflexion gleichermaßen eine sehr politisch und rational arbeitende Künstlerin zu spüren. Deine Projekte sind dennoch weder dem einem noch dem anderen dieser beiden Pole zuzuordnen. Mit welchen Mitteln konzipierst du Atmos- phäre? Ist die jeweilige Stimmung Ergebnis eines bewussten Planungsprozesses?

Dem Pathetischen misstraue ich, es kommt mächtig daher, scheint aber nur auf kurze Laufzeiten angelegt zu sein. Atmosphäre ist in meinen Augen immer schon den Orten inhärent, mit denen ich arbeite. Jeder Raum spricht eine eigene Sprache, hat seinen eigenen „Text“. Das zeigt sich für mich nicht nur in den Spuren der sich überlagernden Zeitschichten, sondern vor allem in den immateriellen Aspekten eines Raumgefüges, wie der Temperatur, dem Licht, den Gerüchen, den Tönen oder Bewegungslinien. Dieser immanenten Choreografie gehe ich nach, das ist – neben historischen und sozialen Aspekten – ein wichtiger Teil meiner Recherche und bildet die Grundlage für meine jeweilige künstlerische Konzeption. Ich setze bewusst einfache Materialien und Medien ein, mit denen ich solche Qualitäten befördern kann: Material, das ich in Bewegung bringen kann oder das sich im Ausstellungsverlauf verändert, ebenso Fundstücke wie Klänge oder Licht.

Du beziehst in viele deiner Arbeiten ganz wesentlich performative Aspekte ein. Kommt dies daher, dass du konstativen Behauptungen misstraust und deshalb die Rezipienten/innen in Handlungen und Wandlungen einzubeziehen versuchst?

Tatsächlich habe ich eher eine Distanz zu Eindeutigem und Festgelegtem, ich schätze mehr das „Umgraben“ im Sinne Walter Benjamins. Im Performativen sind die aktiven Momente der Veränderung enthalten, die künstlerische Freiräume bereitstellen können, Performatives benötigt ein Gegenüber. Wenn man mit Räumen arbeitet, werden die Rezipienten/innen und ihr Verhalten in gewisser Weise Teil der Arbeit. Ist etwa ein Raum ungewohnt dunkel wie bei meinem Projekt in der Linzer Krypta, „entwickelt“ er sich also erst innerhalb einer Wartezeit, dann verlangsamen sich nicht nur die Bewegungen der Besucher/innen, sondern diese Entschleunigung beeinflusst die Wahrnehmung, macht sie sensibler, fokussiert sie auf Erfahrungen der eigenen Körperlichkeit und auf die Bedeutung von Zeit. Diese Möglichkeiten der Selbstreflexion setzen dann auch Fragen zum eigenen Handeln im Hier und Heute frei. Darauf vertraue ich.

Die empörende und bedrückende inhaltliche Thematik des Projektes „Die Kinder“ wird in den zwei Räumen der Krypta der Ursulinenkirche recht unterschiedlich aufgegriffen. Die schwere und beinahe kontemplative Atmosphäre des Licht-Klang-Raumes wird durch die laufenden Kinder im davor liegenden Raum – die wir vorweg, aus Gewohnheit, mit Fröhlichkeit und Leichtigkeit assoziieren – scharf kontrastiert. Willst du durch diese Konfrontation verhindern, dass Besucher/innen in einen eingeübten, doch oft unreflektierten Betroffenheitsmodus verfallen, den solch ein Thema bei Betrachter/innen üblicher Weise evoziert?

Ja. Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Zwei Texttafeln an den Wänden des kleineren Raumes sind mit plastischen Abbildungen von Knochen geschmückt. Bei der Recherche erfuhr ich, dass früher, wenn Ursulinen dort aufgebahrt lagen, Kinder in diesen Raum geführt wurden. Dieser Todes-Hingabe wollte ich einen Widerstand entgegensetzen.

Die Installation nutzt zwei aufeinander folgende Räume der Krypta. Licht, Ton und Video entfalten trotz ihrer Trennung, im Zusammenspiel eine synästhetische Wirkung. Mit welchen Mitteln erreichst du die Interaktion der beiden Räume?

Durch eine minimale Licht-Überschneidung erreiche ich eine Begegnung der voneinander getrennten Räume. Das sich um 360 Grad drehende Video der umlaufenden Kinder im kleineren Raum fällt bei jeder Umdrehung nicht nur durch die Türöffnung auf die gegenüberliegende Flurwand und vervollständigt so die Kreisbewegung, sondern beleuchtet auch für einen Moment, wie ein magisches Lichtsignal, ein kurzes Wandstück in der dunklen Krypta, als Verweis auf die gegenwärtigen lebendigen Kinder. Auch die Bewegungen in beiden Räumen sind aufeinander bezogen, als Verhältnis von groß und klein, viel und wenig. Im Vorraum variiert die Größe der umlaufenden Kinder bei jeder Umdrehung; die Bewegungen und Veränderungen in der Krypta sind auf den gesamten Ausstellungszeitraum angelegt, das Licht nimmt bis zur vollständigen Dunkelheit sukzessive ab, der Klang verdichtet sich immer mehr bis zum Ende der Ausstellung.

Die Multimediainstallation in der Krypta der Ursulinenkirche ist eine sehr intime Arbeit, die darauf abgestimmt ist, dass die Besucher/innen sie allein oder in kleinen Gruppen besuchen. Demgegenüber richtet sich deine „Passage gegen das Vergessen“ auf dem weit in die Landschaft hin geöffneten Kirchenvorplatz von St. Georgen, ganz wesentlich an die Bewohner der Gemeinde. Welche Mittel wählst du, um dies zu erreichen?

Wiederum gehe ich von der Dramaturgie aus, die der Raum vorgibt. An einigen Stellen möchte ich allerdings dagegen arbeiten, um zu zeigen, dass scheinbar fest Gefügtes sich auch verändern lässt. Ich wähle einfache Mittel, die in zurückgenommener Ästhetik den gesamten Standort erfassen. Eine weiße Boden-Text-Linie, die den Platz quer durchläuft, verweist auf die beiden gegensätzlichen Pole an ihren Enden: Auf die in Sichtweite liegenden Standorte der ehemaligen Konzentrationslager von Gusen und den Hügel mit der unterirdischen Produktionsanlage für kriegswichtige Flugzeugteile als Lokalisierung des menschenverachtenden NS-Systems auf der einen Seite, sowie auf den Namen eines beispielhaft Widerstand leistenden Einzelnen, Johann Gruber, an der Fassade des Pfarrheims auf der anderen Seite. Die Textlinie selbst besteht aus ineinander gefügten Begriffen, die das Handeln zwischen beiden Polen thematisieren. Am äußersten Ende des Platzes fügt sich an das provisorisch anmutende Holzplateau – für mich die wichtige Bruchstelle im steinernen Raum – nun der „Spiegel-Steg“, fragil, fast schwebend, nur in Gedanken betretbar.

In den Nachbargemeinden von St. Georgen waren während der national­sozialistischen Terrorherrschaft die Konzentrationslager Mauthausen und Gusen. In der Gemeinde selbst wurde von den Nazis eine riesige unterirdische Flugzeugfabrik aufgebaut, auf die du schon hingewiesen hast. In diesem prominent-schrecklichen Umfeld gibt es natürlich eine ganze Reihe von Gedenkstätten. Könntest du deine konzeptionellen Überlegungen bezogen auf dieses geschichtliche Umfeld schildern?

Am wichtigsten ist für unseren Kontext sicher das von Überlebendengruppen in den 60er Jahren initiierte Memorial in Gusen und der 2005 von Christoph Mayer geschaffene eindrucksvolle Audio-Weg, der nach St. Georgen, bis vor den Eingang der verschlossenen ehemaligen Rüstungsfabrik „Bergkristall“ führt. Der Erkenntnis-gewinn aus der Begehung des Audio-Weges liegt derzeit vor allem bei den von außen kommenden Besuchern, die Anwohner ziehen sich – das ist zumindest meine Erfahrung – zurück. Ich frage mich, welche Rolle wir als Künstler/innen einnehmen, wer oder was uns zu unseren Beiträgen, unserem „Sprechen“ hier berechtigt. Eine Art Stellvertreterposition sollten wir jedenfalls nicht einnehmen. Wenn es in St. Georgen gelingt, einen Prozess des Nachdenkens anzustoßen, in dem die Menschen, die hier leben, selbst zum Sprechen kommen, dann ist viel erreicht.

Die Initiative für diese Arbeit setzte eine Bürger/inneninitiative aus dem Umkreis der örtlichen Pfarre. Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen wurdest du von Seiten der Initiator/innen der Gedenkstätte konfrontiert?

Sie erwarteten von den beteiligten Künstler/innen Sensibilität für die Situation vor Ort, und wohl auch Geduld, Empathie. Durch die gedehnte und verlangsamte Schrittfolge meiner künstlerischen Interventionen wird Zeit und Gelegenheit für Fragen und Gespräche gegeben, auch Einspruch zugelassen, um Öffnung und Veränderung zu erreichen – insofern entsprach mein Konzept wohl am ehesten den Wünschen der Initiator/innen. Die Initiativgruppe übertrug ihre Erwartungen zunächst auch auf mich als Person, doch ich kann und möchte vor Ort nur durch meine künstlerische Arbeit sprechen.

Der vom Auftraggeber vorgesehene Aufstellungsort für deine Arbeit wird heute unterschiedlich genutzt und beherbergt vor allem auch ein Kriegerdenkmal für jene Soldaten der Gemeinde, die im Dienste des NS-Regimes andere Länder überfielen. Wie versuchst du mit dieser Vorgabe umzugehen?

Dieses Denkmal steht seitlich des eigentlichen Platzes, es nimmt nach meiner Beobachtung dennoch eine zentrale Rolle ein, sowohl im Bewusstsein der Bewohner/innen, wie auch als Austragungsstätte von Gedenk-Aktionen. Täter- und Opferbegriff verschwimmen durch die in Granit gemeißelte Inschrift „Ehrenmal“, diese Unschärfe verfestigt sich durch kontinuierlich stattfindende Kranzniederlegungen. Ich kann dieses Denkmal daher nicht als historisches Relikt ignorieren. Durch eine temporäre Verhüllung – quasi als Antipode zum steinernen Monument – wird das Denkmal vorübergehend den Blicken entzogen, es erfährt eine veränderte Form der Aufmerksamkeit, die den inhaltlichen Kontext freilegen und so einen weitergehenden öffentlichen Diskurs bewirken kann. Was verdeckt ist, wird auf neue Weise sichtbar gemacht, erhält einen Fragen aufwerfenden Gegenwartsbezug.

Wesentlich erscheint mir dabei, dass du kein fertiges Denkmal produzierst bzw. aufstellen lässt, sondern dass die Bewohner/innen mit einer Abfolge von Ereignissen und Interventionen konfrontiert werden und damit in einen Prozess der Auseinandersetzung einbezogen werden. Dieser intendierte Prozess der vorbereitenden öffentlichen Auseinandersetzung dauert etwa ein Jahr. Welche Projektteile wird man nachher am Platz vorfinden?

Ein Ensemble von drei sich aufeinander beziehenden Interventionen, beginnend bei der Namensgebung des Pfarrheims, über die Text-Linie zum Holzplateau, und dort, mit der Öffnung des Geländers schließlich zum Spiegelsteg. Der allseitig verspiegelte Korpus zeigt zwei Perspektiven, oben und unten: Bewegungen des Raumes, der Landschaft, der Menschen – verdoppelnd, umkehrend, irritierend, verändernd.

 

Prof. Rainer Zendron, Kurator und Vizerektor der Kunstuniversität Linz

 

 

 

Martin Hochleitner

Monte F. C. –
zur Erfahrbarkeit der Vergangenheit
eines Museums

Landesgalerie Linz, Museumsstraße 14, Dezember 2010: „Monte F.C.“ heißt ein Kunstprojekt der in Berlin lebenden Künstlerin Renate Herter. Der Titel ist ein Wortspiel auf mehreren Ebenen. „F.C.“ leitet sich vom ursprünglichen Gebäudenamen der heutigen Landesgalerie ab. Die Abkürzung steht für Francisco Carolinum und vermittelt mit dem – in diesem Namen angelegten – Protektorat von Erzherzog Franz Karl (1802 – 1878) gleichzeitig auch den für die Gründung des Museums so charakteristischen kulturhistorischen sowie gesellschaftspolitischen Kontext des 19. Jahrhunderts. „Monte“ beschreibt das Museum symbolisch als Berg, dessen tatsächliche Besteigung sich Renate Herter am 21. September 2010 zur persönlichen Aufgabe im Rahmen der Vorbereitung ihrer Ausstellung gemacht hatte. Das Museum Francisco Carolinum wurde 1895 als typisches Bauwerk des Historismus nach Plänen des deutschen Architekten Bruno Schmitz eröffnet. Es war imposante Manifestation eines neuen Selbstverständnisses und -bewussteins des Bürgertums, das sich, seinen Sammlungs­beständen und seinem Wissen um die Natur-, Kunst- und Kulturgeschichte Oberösterreichs mit einem repräsentativen Gebäude stolzen Ausdruck verlieh. Das Museum war zu seiner Zeit ein Denkmal des Bürgertums. Heute ist es selbst ein Denkmal für eine gesellschaftliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts geworden.

Ähnlich verhält es sich mit dem Gründungsgedanken der heutigen Landesgalerie Linz: 1854 beschloss der Oberösterreichische Kunstverein auf Anregung seines Vizepräsidenten Adalbert Stifter nicht nur Ausstellungen auszurichten, sondern auch Kunstwerke für den Aufbau einer eigenen „Landesgallerie“ [sic!] anzukaufen, um dadurch einen Beitrag für die „Erbauung und Bildung des Bürgertums“ zu leisten und dem „Volke allzeit die Anschauung guter, ernster Kunst als bestes Erziehungs- und Veredelungsmittel zu ermöglichen“. Als erstes Werk wurde im Mai 1855 das großformatige Gemälde „Schiffbruch an der Insel Capraja im Ligurischen Meere“ vom „hervorragenden Landschafts- und Marinemaler“ Hermann Mevius aus der damals hoch geschätzten Düsseldorfer Schule erworben.

Mit der Eröffnung des Francisco Carolinum übersiedelte auch die Landesgalerie in das neue Museumsgebäude und war dadurch knapp vierzig Jahre nach ihrer Gründung erstmals sowohl räumlich als auch organisatorisch in die Struktur eines Museums eingebunden. Gleichzeitig waren die Eigentumsverhältnisse vom Kunstverein uneingeschränkt an das Land Oberösterreich übergegangen.

Obwohl die Bezeichnung „Landesgalerie“ auch weiterhin bestehen sollte, veränderte der Begriff durch den konkreten musealen Kontext im Francisco Carolinum allmählich seine ursprüngliche Bedeutung. Hatte die Landesgalerie bislang eine klar umrissene und über Jahre hinweg kontinuierlich gewachsene Bildersammlung bezeichnet, so verschmolz sie zunehmend mit dem Inventar und der Identität des Museums. Als 1929 „im Auftrag der Landesregierung von der Direktion des Landesmuseums“ ein „Katalog der Oberösterreichischen Landesgalerie in Linz an der Donau“ herausgegeben wurde, stand der Begriff schließlich für das Gesamtinventar an Gemälden des Museums und damit gleichberechtigt neben den weiteren Sammlungskomplexen aus den Bereichen Kunstgeschichte und -gewerbe, Archäologie, Volkskunde, Geologie und Mineralogie, Zoologie und Botanik sowie Waffenkunde und Heeresgeschichte.

Erst in den 1980er Jahren wurde die Landesgalerie mit einer kontinuierlichen Ausstellung­stätigkeit zur Kunst seit 1900 neu in der Museumstraße institutionalisiert. Heute ist die Landesgalerie das Museum des Landes Oberösterreich für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts und kann mit mehreren Programmschienen das komplette Museumsgebäude des Francisco Carolinum bespielen.

Die langfristigen Voraussetzungen für diese Entwicklung lagen in der Einrichtung des Schlossmuseums, das seit den 1960er Jahren Großteile der historischen Sammlungen des Francisco Carolinum aufnehmen sollte, der Eröffnung des Biologiezentrums 1993 für die naturwissenschaftlichen Bestände sowie dem 2009 fertig gestellten Südflügel u. a. als Präsentationsmöglichkeit für die Techniksammlung der Oberösterreichischen Landesmuseen. Diese verwalten zudem vier große Depots in Linz. So hat sich in knapp 100 Jahren das Museum Francisco Carolinum radikal verändert. Die ursprüngliche Dauerpräsentation unterschiedlicher Sammlungen von 1895 wurde in einem jahrzehntelangen Prozess von einem Raumkonzept für die Realisierung von Wechselausstellungen abgelöst. Alle vormals ausgestellten Exponate haben das Museum Francisco Carolinum verlassen.

2010 konzipiert Renate Herter ihre Ausstellung in der Landesgalerie als ein ortsbezogenes Projekt an der Schnittstelle einer konkreten Institutionsgeschichte und genereller Bedeutungs­zusammenhänge des Begriffs Museum. „Monte F.C.“ besteht hierin aus zwei Elementen: aus der gleichnamigen Videoarbeit und der Klanginstallation „Al niente / Bis zum Nichts“.

Künstlerin und umfasst selbst wiederum zwei Videos: Eines dokumentiert sie beim Klettern, das andere zeigt die Fassade aus der subjektiven Sicht der Künstlerin beim Besteigen des Museums. Beide Filme werden auf gegenüberliegenden Wänden im Gotischen Zimmer der Landesgalerie präsentiert.

Für „Al niente / Bis zum Nichts“ recherchierte Renate Herter in den historischen Inventarlisten des Museums. Sie sichtete einzelne Objekte und traf schließlich für insgesamt zehn Sammlungsbereiche (Numismatik, Zoologie, Waffen/Rechtsaltertümer, Musikinstrumente, Schnitzkunst, Waffensaal, Römische Archäologie, Ethnografie, Gesteine/Mineralien, Paläontologie) eine Auswahl von je 20 bis 25 Exponaten, die sie – analog zu den ursprünglichen Aufzeichnungen – auf die pure Gegenstandsbezeichnung reduzierte.

Die von Herter selbst gesprochenen Namen funktionieren in der Landesgalerie als unsichtbare Hörstationen, deren aufgeteilte Situierung in den einzelnen Geschoßen des Gebäudes auf die ehemaligen Abteilungen des Museums Bezug nehmen. Mit ihren Aufzählungen eröffnet Herter Erinnerungsräume, die eine seltsame Brüchigkeit zwischen der sonst üblichen Autorität des Ausstellungsstückes und der sprachlichen Rückführung eines Objektes in einen historischen Präsentationskontext charakterisiert.

Ein ähnlicher Zustand ergibt sich auch bei der Videoinstallation „Monte F.C.“ zwischen der Monumentalität des Gebäudes und der individuellen Bemühung, an der Fassade hochzusteigen. Die schließlich auch vollzogene Besteigung erweist sich im Film jedoch nicht als ein persönlicher Triumph der Künstlerin, denn als Kommentar auf den Autoritätsanspruch des Museums an sich.

„Monte F.C.“ ist sowohl spektakulär als auch zurückhaltend. Es reflektiert die konkrete Geschichte eines Museums und gleichzeitig die generelle Institution Museum, indem es einerseits die Geschichte des Francisco Carolinum schlaglichtartig beleuchtet und andererseits die Definiton, Etablierung und Tradierung von objektbezogenem Wissen einer kritischen Revision unterzieht.

So erzeugt Herters Projekt in einem Museum ein doppeltes Paradoxon: Einerseits verdeutlich die generelle und deshalb unübliche Abwesenheit von Exponaten, dass Herter weniger am Gegenstand der Erinnerung, als an der Frage nach Konstruktionsmechanismen und Erzählweisen von Geschichte in einem institutionellen Kontext interessiert ist. Andererseits schafft sie über die Sprache wiederum eine Präsenz von Objekten, die die Qualität der Erfahrbarkeit von Vergangenheit neu definiert.

 

Martin Hochleitner, Leiter der Landesgalerie Linz und Professor für Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Kunstuniversität Linz

 

 

 

Genoveva Rückert

Auffaltungen im räumlichen Gefüge
Zum Werk von Renate Herter

In ... [der] Spannbreite zwischen Verräumlichung der Schrift und Verschriftlichung des Raums formieren sich die Praktiken, mit denen die Menschen ihre soziale Ordnung und ihre Lebensweise materialisieren und repräsentieren, sich selbst darin wahrnehmen und konstituieren, mit denen sie ihre Raumerfahrungen vor- und darstellbar machen und ihre Erfahrungen und Erinnerungen damit zum Ausdruck bringen.(1)

Geschichte und Ortsbezug, Sprache und Raum sind die Parameter von Renate Herters Raum bezogenen Installationen und Interventionen, Klanginstallationen und textuellen Arbeiten seit den 1980er Jahren.(2) In vielen ihrer Arbeiten geht es um die Verbindung von Innen und Außen, um „Erinnerungsarbeit“, das Offenlegen und Erfahrbarmachen von Vergangenheit in einer spezifisch weiblichen Sichtweise. Sorgfältig werden Zusammenhänge erarbeitet, historische und atmosphärische Überlagerungen im Gefüge eines Raumes aufgefaltet und sprachlich gefasst.

Sie ist aber auch ein Kind ihrer Zeit, in deren Werk und Lehre an der Kunstuniversität Linz in der „Bildhauerei – transmedialer Raum“ (von 2001 – 2008) die jüngere Kunstentwicklung hin zur Installation(3) (als der dominierenden Gattung seit den 1980er Jahren) und einer „aufgeklärten“ Kunst im öffentlichen Raum deutlich wird. Rosalind Krauss beschrieb Ende der 1970er Jahre eine Zurücknahme des autonomen Werkcharakters der Skulptur.(4) Diese trat vermehrt gattungsübergreifend auf und verhielt sich in Beziehung zu ihrem räumlichen Umfeld. Dadurch lösten sich aber nicht nur die Grenzen zwischen Werk und BetrachterInnen sondern auch die klassisch objekthafte Bildhauerei verabschiedete sich zunehmend. Die Beziehung zum Umfeld war zunächst von einer architektonisch materiellen Auffassung des Raums geprägt, was auch deutlich in den sogenannten „Projekten“(5) – einer anderen, bis heute prägenden Leitvokabel – wurde. Hier zeigt sich auch die parallele und für die Rauminstallation einflussreiche Entwicklung der „Kunst im öffentlichen Raum / Public Art“ seit den 1960er Jahren: Diese führt von der formalen Einbeziehung des architektonischen Kontextes seit der Minimal Art und der Landart, über die „Site Specifitiy“(6) – eine erweiterte Sicht auf den institutionellen, historischen und sozialen Kontext eines Ortes – bis zu veränderten Begriffen von Raum und Öffentlichkeit.

Was für die Ausstellung „Monte F.C.“ im Außenraum ironisch mit einer Bezwingung des historistischen Gebäudes der Landesgalerie Linz beginnt, findet in den sprechenden Wänden im Innenraum seine Fortsetzung. Schonungslos mit der baulichen Substanz und sich geht Renate Herter in der zweifachen Annäherung an die Kunstinstitution vor. Die große Geste einer Besteigung bricht sie allerdings mit der sensibel geflüsterten, und doch rein faktischen Aufzählung der Sammlungsbestände des einstigen Universalmuseums.

Die Dichotomie von Außen und Innen, von Außenraum, schützender Hülle und dem Klang des Inneren, sowie die Auseinandersetzung mit dem Galerieraum(7) spielte aber schon bei den „Headrooms, Kopfräume“(8) eine zentrale Rolle. Der Innenraum, der zwischen Boden und Decke verspannten Kubaturen (White Cubes) konnte mit seiner eigenwilligen Akustik durch Kopflöcher erfahren werden. Während sich die Wandbegrenzungen der Raumobjekte visuell auflösten, veränderte die Wärme der BesucherInnen die Form des empfindlichen Wandmaterials Paraffin.

Renate Herter kratzt (wie bei den unter Putz gelegten Lautsprechern in der Landesgalerie) am Kontext, an den Schichten der Vergangenheit. Wie ein Konservator untersucht sie einen Raum und seine Hüllen, legt Treppen in den übereinander liegenden Malschichten frei, entscheidet sich für eine Geschichte und vermittelt diesen „Kontext“ oft mit sprachlichen Mitteln. Dabei kommen sowohl Text als Medium, um das „Eingeschriebene“ sichtbar zu machen, als auch Gesprochenes und Klang zum Einsatz. Die Untersuchungen immaterieller, kontextueller Aufladungen und Bedeutungen, die ein Raum im Laufe seiner Geschichte erfahren hat, werden konkretisiert und finden in Renate Herters Verhüllungen, Textarbeiten und Installationen eindrückliche Materialisierungen. Dass die Umsetzung sehr substantiell werden kann, zeigte sie in der Installation „Das bisschen Zeit“(9), wo ein dem Mauerwerk entnommener Bohrkern neben dem Loch platziert, mit dem Titel in ein Spannungsverhältnis gesetzt wurde.

Die „Spannbreite zwischen Verräumlichung der Schrift und Verschriftlichung des Raums“ (Weigel) fasst auch die jüngsten Arbeiten, die sich der Erinnerungsarbeit und dem kulturellen Gedächtnis widmen:
Zuletzt reichte Renate Herter für einen Wettbewerb in Berlin zum Gedenken an Georg Elser eine Arbeit ein,(10) die der Bescheidenheit der Person Elsers ebenso wie ihrer denkwürdigen solitären Tat gerecht werden wollte. Elser, der in visionärer Voraussicht 1939 im Münchner Bürgerbräukeller mit einer selbstgebauten „Höllenmaschine“ einen Bombenanschlag auf die NS-Führung verübte, soll in der Nähe der ehemaligen Reichskanzlei in Berlin ein Mahnmal erhalten. Renate Herter hat ein schlichtes, in den Boden eingelassenes zweiteiliges Denkzeichen entworfen, einen weißen Textring(11), dazu ein ebenfalls in den Boden eingelassener Behälter mit einer nur einzeln betretbaren Oberfläche. Auf deren Plattform wäre ein starkes Vibrieren im Sekundentakt spürbar geworden. Die tieffrequenten Impulse hätten auf Elsers „Höllenmaschine“ verwiesen und zugleich das Moment der Zeit körperlich erfahrbar gemacht. Ohne hehren Helden-Gestus sollte auf Bodenniveau an sein konkretes, singuläres Handeln erinnert und zugleich ein Bezug zu heute hergestellt werden.

Für die Diözese Linz entstand ein weiterer Entwurf für die künstlerische Gestaltung einer Werktags- oder Büßerkapelle in Linz/Keferfeld. In den 1960er Jahren wurde die von Rudolf Schwarz entworfene Kapelle auf Initiative des damaligen Pfarrers Zauner aus Mauthausener Granit errichtet. Ausgehend von der Idee, durch Verhüllen etwas inhaltlich sichtbar werden zu lassen, schlug Renate Herter eine teilweise Bemalung des Baus vor. Bis zur Hälfte mit Weiß übermalt, wäre negativ der mit „Wie kann ich sagen es geht mich nichts an?“ beginnende Text erschienen. Der durch die ausgesparte Beschriftung durchscheinende Bruchstein würde umso eindrücklicher auf seine Herkunftsgeschichte verweisen. Die ursprüngliche Absicht, den Opfern des Konzentrationslagers zu gedenken, sollte mit dieser Textarbeit aktualisiert und verdeutlich werden.

Weiß „als so aktive Farbe des Schweigens“(12), die selbst zur Erinnerungsmetapher werden kann, aber auch Hülle, Haut, Aufladung durch Verdecken und Verhüllen sind durchgängige Motive. Sie tauchen auch schon in früheren Arbeiten auf, wie in den eingenähten Fund-Objekten und den beiden Installationen „Vernähter Raum I und II“. Bei letzteren entstand zunächst ein vollständig aus weißem Stoff genähter Raum im Raum. Innen und Außen, Raum und Haut bildeten eine immersive Erfahrung für die BesucherInnen. Die ungewöhnliche, leicht in Schwingung zu versetzende Wiederholung des Ursprungsraumes brachte sich ein, mit allen Qualitäten, die ein Stoff dem Raum zu bieten hat: der Schall wurde verschluckt, die weiche, schmutzempfindliche Oberfläche erzeugte diffuses Licht. Im Vorraum zeigte ein aufgeschlagenes Buch auf einer Konsole das den Titel gebende autobiographische Zitat „Weil ich es verlernt habe zu Hause zu sein“ des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi in seinem komplexen inhaltlichen Zusammenhang.(13) Zusammengefaltet, mit den Spuren der BesucherInnen, präsentierte sich die sensible Innenhaut ein Jahr später gemeinsam mit einer Ausstellungsansicht am gleichen Ort(14) – als weiterführender Diskurs, denn „Die Räumlichkeit haftet an den Dingen wie eine Haut.“(15)

Die körperliche Erfahrung des bis auf die Haut gehenden Fremdseins ging mit einem ebenfalls approprierten, literarischen Bezug in der Installation „Im Körper – Im Exil“(16) eine komplexe Beziehung ein. Zunächst betrat man einen irritierend weiß in weiß getauchten Raum mit eingenähten Fundstücken bei offen stehenden Fenstern. „Als wäre die eigene Haut nicht schon Fremde genug“, als eine zutiefst innerliche Beschreibung wurde aus dem OK Offenes Kulturhaus in Linz auf die herbstlichen Bäume davor projiziert. Erst in der Dunkelheit gut wahrnehmbar, verblasste, bzw. „alterte“ die Gedichtzeile von Friederike Mayröcker mit dem lichter werdenden Laub des fortschreitenden Herbstes.

Immer wieder findet Renate Herter für ihre Materialisierungen ungewöhnliche Werkstoffe und sprechende Träger ihrer Inhalte. So auch in der Installation „Im Fluss“, 2008(17) in einem Trakt des z.T. von ZwangsarbeiterInnen unter dem NS-Regime errichteten Linzer Stollensystems. In einem den Raum füllenden eingelassenen Becken wurde eine träge weiße Masse kontinuierlich von einem Rechen durchpflügt. Das Weiß der Wände wurde in der Bodeninstallation in die Horizontale „gelegt“. Ein Oszillieren zwischen Raum und Fläche, irritierend ein kaum wahrnehmbarer Übergang vom festen Boden zur bewegten oder sich zur Projektionsfläche glättenden Masse des Beckens. In den weißen Fluss eingebundene, unsichtbar bleibende Textpartikel verweisen auf das Erinnern, u. a. Walter Benjamins „Ausgraben und Erinnern“: „Die Sprache hat es unmißverständlich bedeutet, daß das Gedächtnis nicht ein Instrument für die Erkundung des Vergangenen ist, vielmehr das Medium. Es ist das Medium des Erlebten wie das Erdreich das Medium ist, in dem die alten Städte verschüttet liegen. Wer sich der eigenen verschütteten Vergangenheit zu nähern trachtet, muß sich verhalten wie ein Mann, der gräbt.“(18)

Der „Fluss“ war Material und zugleich Ort der (schweigenden) Inhalte. Einschreibung und Löschung, Leere und Fülle – ein komplexes Bild für das Gedächtnis entstand.

Das Freilegen und Graben, die diversen Aspekte der sich immer wieder neu organisierenden Formen des Erinnerns und Vergessens, haben Platz in der „Spannbreite zwischen Verräumlichung der Schrift und Verschriftlichung des Raums“, ein für Renate Herters Arbeit am Gefüge des Raumes wohl treffendes Spannungsverhältnis.

 

(1) Sigrid Weigel, Topographien der Geschlechter. Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur. Reinbek bei Hamburg, 1990, S. 194.
(2) Siehe zweiteilige Publikation der Kunstuniversität Linz: Renate Herter. Das Gedächtnis der Dinge / Bildhauerei – transmedialer Raum. Hrsg. von Renate Herter, Kunstuniversität Linz, Linz 2008; besonders: Barbara Paul, Text-(Ver)Ortungen. Zu Renate Herters transmedialen Rauminstallationen, im Band: Das Gedächtnis der Dinge, a.a.O., S. 5 –13.
(3) Claire Bishop, Installation Art. A Critical History, London: Tate, 2005, S. 6ff.
(4) Rosalind Krauss, Sculpture in the Expanded Field, in: October, Vol. 8 (1979), S. 30 – 44.
(5) Zum Begriff des Projektes: Claudia Büttner, Art Goes Public. Von der Gruppenausstellung im Freien zum Kunstprojekt im nichtinstitutionellen Raum, München: S. Schreiber, 1997, S. 34 ff.
(6) Miwon Kwon, Ein Ort nach dem anderen, in: OK Ortsbezug. Konstruktion oder Prozeß. Hrsg. von Georg Schöllhammer und Hedwig Saxenhuber, Linz 1998, S. 17 – 54.
(7) Brian O’Doherty, In der weissen Zelle, Inside the White Cube. Hrsg. von Wolfgang Kemp, Berlin 1996, S. 10.
(8) Vgl. Headrooms, Kopfräume, Carlsten Art Gallery, University Wisconsin 1999 und Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin 1998, in: Renate Herter. Das Gedächtnis der Dinge, a.a.O., S. 42 – 45.
(9) Vgl. Das bisschen Zeit, Haus am Kleistpark, Berlin 2001, in: Renate Herter. Das Gedächtnis der Dinge, a.a.O., S. 60 – 63.
(10) Bei dem europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb „Denkzeichen Georg Elser“ wurde Renate Herters Entwurf mit dem dritten Preis ausgezeichnet.
(11) Text: Georg Elser. 8. 11. 1939. Als Einzelner zum konsequenten Widerstand gegen das NS- Regime entschlossen. Ermordet in Dachau 9. 4. 1945.
(12) Renate Herter, Im Fluss, in: Tiefenrausch. Band III. Strom des Vergessens. Hrsg. vom OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Ausst.Kat., Wien: Folio 2008, S. 75.
(13) Vgl. Weil ich es verlernt habe zu Hause zu sein – Vernähter Raum, Kunstamt Kreuzberg im Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1994 / 95, in: Renate Herter. Das Gedächtnis der Dinge, a.a.O., S. 32–35.
(14) Vgl. Vernähter Raum II, Kunstamt Kreuzberg im Künstlerhaus Bethanien, Berlin 1996, in: Ebda., S. 36 – 37.
(15) Bernhard Waldenfels, Grenzen der Normalisierung – Studien zur Phänomenologie des Fremden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998, S. 153.
(16) Vgl. Im Körper – im Exil, Offenes Kulturhaus Linz 1994, in: Andere Körper. Hrsg. vom Offenen Kulturhaus Oberöstrreich, Ausst.Kat., Wien: Passagen, 1994.
(17) Vgl. Im Fluss, Offenes Kulturhaus / Linz 09, Aktienkeller, Linz 2008, in: Tiefenrausch, Band III. Strom des Vergessens, a.a.O., S. 74 – 75.
(18) Walter Benjamin, Ausgraben und Erinnern, in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften. Band IV. Hrsg. von Tillmann Rexroth, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, S. 305 – 439, S. 400.

 

Genoveva Rückert, Kuratorin, Offenes Kulturhaus Linz

 

 

 

Barbara Paul

Text-(Ver)Ortungen.
Zu Renate Herters transmedialen Rauminstallationen

Die Lust am Text, das ist jener Moment, wo mein Körper seinen eigenen Ideen folgt – denn mein Körper hat nicht dieselben Ideen wie ich. (1)

In Anlehnung an Roland Barthes’ Postulat von der „Lust am Text“ lässt sich auch für Renate Herters Kunst die Lust am Text im semiologischen Sinne und damit die Lust an Worten, Dingen, Bildern, Räumen und Orten reklamieren. Die in Linz und Berlin tätige Künstlerin, die seit 2001 eine Professur für Bildhauerei – transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz innehat, verknüpft argumentativ zahlreiche Elemente, zum einen die Sprache, deren Semantik, aber auch Metaphorik, zum anderen Gegenstände, visuelle und/oder auditive Kompositionen sowie ortsspezifisch definierte Räume. Wesentlich sind die von Renate Herter entwickelten Kombinationen und die sich dadurch eröffnende Kette an Bedeutungen, die von der Künstlerin programmatisch als unabgeschlossen konzeptioniert ist. So gehen Worte und Worte miteinander Verbindungen ein, Worte und Dinge, Dinge und Dinge, Dinge und Bilder, Bilder und Bilder, Bilder und Räume, Räume und Räume, Räume und Orte, Orte und Orte. Diese transmedial argumentierenden Installationen evozieren vielfältige Möglichkeitsräume, durch die selbst wiederum weitere Ermöglichungen generiert werden, so dass auch von Text- (Ver)Ortungen als künstlerischer Praxis zu sprechen ist.

Mein besonderes Augenmerk gilt von daher Texten, Orten, Text-Orten, Text-Ortungen und Text-Verortungen in ausgewählten Installationen von Renate Herter aus den 1990er Jahren und dem aktuellen Jahr 2008. Es geht sowohl um konkrete, in der Installation verwendete Texte und um den Titel als auch um jegliche, übergeordnet semiologisch verstandene Texte und deren Interrelationen. Dabei operiert die Künstlerin, überschaut man ihr Werk, mit unterschiedlichen Formen von Intertextualität, etwa mit Bildzitaten und -überarbeitungen, mit Wortübernahmen und -akkumulationen, auch mit Stimmen, die sie erprobt, kommentiert und gelegentlich auch wieder verwirft. Thematisch gesehen beschäftigt sich Renate Herter in den im Folgenden diskutierten Arbeiten mit Körper- und/als Exil-Erfahrungen, mit Heimatlosigkeit und mit Gedächtniskulturen von der NS-Zeit bis heute.

(1) Roland Barthes, Die Lust am Text, aus dem Französischen von Traugott König, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S.26 (Orig. Le Plaisir du Texte, Paris: Seuil 1973).

 

I. Körper- und/als Exil-Erfahrungen

Seit den 1980er Jahren arbeitet Renate Herter mit facettenreichen Bedeutungsbezügen, - verschiebungen und -verwischungen, indem sie immer wieder neue, überraschende und vor allem inhaltlich ebenso abwägende wie offengehaltene Aspekte von gender-, mentalitäts-, erinnerungsund alltagspolitisch virulenten Themen behandelt. Die stetige Prozessualität von Debatten, Wahrnehmungen und Gefühlen findet sich als strukturelles Merkmal ihrer künstlerischen Argumentationen, bietet sie doch in der Regel konzeptionell eine Fülle an Blickwinkeln, Einsichten und Perspektiven. Charakteristische Beispiele für diese Arbeitspraxis sind etwa ihre collagierte Bilderserie Bilder treten aus dem Bild heraus (1991/92) und ihre Kunstpostkartensammlung, die auf Übermalungen und Umarbeitungen basiert, in Metallstelen geschichtet und weitgehend nicht einsehbar und damit nicht sichtbar präsentiert ist, realisiert in den installativen Fassungen Depots der Erinnerung I – Unter Verschluss, Depots der Erinnerung II – Öffnungsversuche (beide 1992) und Depots der Erinnerung – Stimmen und Körper (1993; Linz, Offenes Kulturhaus des Landes Oberösterreich; Abb. S. 20/21). Das von Renate Herter geradezu obsessiv bearbeitete Verhältnis von Weiblichkeitsmustern und Kunst(geschichten) ist einschließlich des veränderungsorientierten Potenzials seitens der Kunstwissenschaft in den 1990er Jahren im Kontext des dekonstruktiven Feminismus mehrfach erörtert worden.(2) Auch die institutionenkritischen Implikationen insbesondere der Serie Bilder treten aus dem Bild heraus sind im Sinne „feministischer Interventionen“ platziert und kommentiert worden.(3)

Einen Schritt weiter ging Renate Herter in einer ihrer folgenden Arbeiten, da sie nun auf eine visuelle Repräsentation von Körper und Körperlichkeit ganz verzichtete. Stattdessen rückte sie in der Installation Im Körper – Im Exil (1994, Linz, Offenes Kulturhaus des Landes Oberösterreich, im Rahmen der Ausstellung Andere Körper; Abb. 54–57) (4) die Sprache in Form von einzelnen Worten bzw. einem Satz ins Zentrum ihrer Kunst. So arbeitete sie vor allem mit dem Satz „als wäre die eigene Haut nicht schon Fremde genug“, den sie dem Gedicht ich verliere mich so an die Menschen von Friederike Mayröcker aus den späten 1980er Jahren entnommen hatte.(5) Friederike Mayröckers Gedicht handelt von der (körperlichen?) Existenz des eigenen Subjekts, aber auch von anderen Individuen sowie den Möglichkeiten der Sprache und ihrer Grenzen. Der von Renate Herter entlehnte Satz, der bei Friederike Mayröcker die letzte Zeile ihres Gedichts bildet, betont im Rahmen der Installation nicht nur die begrenzten Möglichkeiten der Sprache und auch deren letztendliche Nicht-Darstellbarkeit von Wirklichkeit; vielmehr markiert der Satz auch die Nicht-Identifizierung mit dem eigenen Körper, vermittelt über die Haut in ihrer Funktion als Körperhülle und Körperbegrenzung.

In ihrer Installation untergliedert Renate Herter die Gedichtzeile entsprechend der räumlichen Situation im Linzer Offenen Kulturhaus in vier Teile „als wäre die / eigene Haut / nicht schon / Fremde genug“, um diese zugleich wieder zu einem Satzganzen zusammenzufügen. Vom Innenraum aus projizierte die Künstlerin durch vier nebeneinander liegende, geöffnete Fenster mit Hilfe von Diaprojektoren den Satz so, dass er draußen auf den sich hinter den Fensteröffnungen befindenden Kastanienbaumblättern zu lesen war. Allerdings konnte der Text am Tage aufgrund der spezifischen Lichtverhältnisse nicht gelesen werden. Erst mit Einbruch der Dunkelheit erschloss sich der Text auch visuell dem Publikum. Mit dessen Sichtbar-Werden konnten sich dann – „wie im Traum“(6) – dessen Bedeutungen entfalten. Am nächsten Morgen war der Text wieder „verschwunden“. Dieses Oszillieren zwischen sichtbar und nicht-sichtbar korrespondiert mit der ebenfalls wechselnden Einschätzung der eigene Haut als etwas Fremdem, auch Fremd-Gewordenem oder zumindest temporär Fremd-Empfundenem, obwohl es sich doch stets um die eigene, das heißt körpereigene, aber wohl veränderte, etwa älter gewordene Haut handelt.(7) Dementsprechend lautet der Titel von Renate Herters Installation Im Körper – Im Exil, wodurch das dialogische, aber auch konkurrierende Spannungsverhältnis sowohl von Körper- als auch von Exilerfahrungen zum Ausdruck gebracht wird.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Friederike Mayröcker den von Renate Herter verwendeten letzten Satz ihres Gedichtes ich verliere mich so an die Menschen selbst bereits appropriiert hatte, und zwar vom Schweizer Autor Franz Wurm. Dies ist ein besonders prägnantes Beispiel für eine intertextuelle Praxis, die für Friederike Mayröckers Lyrik generell im Sinne eines „Rupfen in Gärten“ charakteristisch ist, so der Titel eines ihrer Texte, in dem sie ihre Arbeitsweise selbst als „räuberisches Verhalten“ und „von höchst parasitärer Façon“ bezeichnet.(8) Das Herstellen immer wieder neuer Bezüge lässt sich auch als ein wichtiges Anliegen von Renate Herter benennen, die gerne unterschiedliche Blickwinkel und Vernetzungsmöglichkeiten abwägend zur Diskussion stellt. Von daher ist die Aussage von Roland Barthes in seinem einflussreich gewordenen Aufsatz Der Tod des Autors (1968) besonders treffend, „[...] dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die ‚Botschaft’ des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [écritures] , von denen keine einzige originell ist, vereinen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“.(9)

 

(2) Eva Sturm [Zu Renate Herter, Depots der Erinnerung – Stimmen und Körper ] , in: Ausst.-Kat. Speicher. Versuche zur Darstellbarkeit von Geschichte/n, hg. vom Offenen Kulturhaus des Landes OÖ, Offenes Kulturhaus, Linz 1993, S. 135–138; Sigrid Schade, Renate Herter. Topographien eines anderen Gedächtnisses, in: Kunstforum International, Bd. 128, Okt.–Dez. 1994: Zwischen Erinnern und Vergessen. Transitorische Turbulenzen II , S. 224–226; Cordula Meier, Kunst und Gedächtnis. Zugänge zur aktuellen Kunstrezeption im Licht digitaler Speicher, München: Fink 2002, bes. S. 116–117. Vgl. zuvor auch ausführlich Renate Herter, Visuelle Dialoge. Zum Verhältnis von Weiblichkeit und Kunst, mit einem Text von Friederike Mayröcker, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1992.
(3) Eine Arbeit aus Renate Herters Serie Bilder treten aus dem Bild heraus (1991/92) ist auf der Titelseite der Zeitschrift kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Jg. 21, 1993, Heft 4: Feministische Interventionen abgebildet, wodurch auf den politischen Anspruch des Feminismus und den nicht endenden Prozess feministischer Politik verwiesen wird. Zu Renate Herters Bilderserie vgl. auch Sigrid Schade, „Unabgegoltene Vergangenheiten“, in: kritische berichte, Jg. 21, 1993, Heft 4: Feministische Interventionen, S. 91–100, zu Renate Herter und den strukturellen Zusammenhängen von Institutionalisierungsprozessen der Frauen(kunst)bewegungen vgl. auch Barbara Paul, „Feministische Interventionen in der Kunst und im Kunstbetrieb“, in: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd. 8: Vom Expressionismus bis heute, hg. von Barbara Lange, München: Prestel 2006, S. 480–497, S. 484 und Abb. 3.
(4) Vgl. Ausst.-Kat. Andere Körper, hg. vom Offenen Kulturhaus des Landes OÖ, Konzeption: Sigrid Schade, Offenes Kulturhaus, Linz 1994, Wien: Passagen-Verlag, S. 103–111.
(5) Friederike Mayröcker, Das besessene Alter. Gedichte 1986–1991, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992, S. 52.
(6) Sigrid Schade [Zu Renate Herter, Im Körper–Im Exil ] , in: Ausst.-Kat. Andere Körper, hg. vom Offenen Kulturhaus des Landes OÖ, Konzeption: Sigrid Schade, Offenes Kulturhaus, Linz 1994, Wien: Passagen-Verlag, S. 104.
(7) Im Laufe der Ausstellungsdauer verfärbten sich zudem die Blätter der Kastanienbäume, die zusehends braun wurden. Durch einen Krankheitsbefall war der Alterungsprozess der Blätter zusätzlich beschleunigt worden.
(8) Friederike Mayröcker, „Rupfen in Gärten“, in: Friederike Mayröcker, Magische Blätter IV, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, S. 29. Vgl. zudem Inge Arteel und Heidy Margrit Müller (Hg.), „Rupfen in fremden Gärten“. Intertextualität im Schreiben Friederike Mayröckers, Bielefeld: Aisthesis Verlag 2002.
(9) Roland Barthes, „Der Tod des Autors“, in: Fotis Jannidis u. a. (Hg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart: Reclam 2000, S. 185–193, S. 190 (Orig. „La mort de l’auteur“, in: Manteia, 1968, S. 12–17, wiederabgedruckt in: Roland Barthes, OEuvres Complètes, hg. von Éric Marty, Bd. 2, Paris: Seuil 1994, S. 491–495).

 

II. Der vernähte Raum als Metapher für Heimatlosigkeit
Nicht nur die Mehrdimensionalität von Texten, sondern auch von Räumen thematisiert Renate Herter auf intellektuell und emotional gleichermaßen herausfordernde Weise. In der Installation Weil ich es verlernt habe, zu Hause zu sein – Vernähter Raum (1994, Berlin, Kunstamt Kreuzberg im Künstlerhaus Bethanien im Rahmen der NGBK-Ausstellung GEWALT/Geschäfte; Abb. S. 32–35) operiert sie mit dem für ihre Arbeit in den 1990er Jahren charakteristischen künstlerischen Verfahren des Vernähens. In diesem Werk ging es ihr im Unterschied zu anderen, in denen sie, wie beispielsweise in Angehaltene Zeit (1993, Berlin, Kunstraum Milchhof; Abb. S. 24/25), Gegenstände nähend verhüllte und re-modellierte, um das Vernähen eines ganzen Raumes. Auf den ersten Blick schien es sich um einen weißen, vermeintlich neutralen Raum zu handeln. Beim Betreten stellten sich dann andere Wahrnehmungen und Erfahrungen ein. Der mit Stoff versehene Boden fühlte sich weicher als erwartet an, man glaubte, wie auf Watte zu gehen. Auch die Akustik gestaltete sich insofern anders, als sich die Stimmen, auch die eigene Stimme, wie in Watte getaucht zu verlieren schienen. Schließlich gab es keinen Blick nach draußen, da die Künstlerin auch das Fenster vernäht hatte. Diese Irritationen wurden durch den Gesamteindruck des Raumes zusätzlich pointiert, denn die an Stahlseilen gespannten Stoffe (in ca. drei Zentimeter Abstand von der Wand des Ausstellungsraumes) gerieten durch Luftzüge immer wieder behutsam, aber bestimmt ins Wanken.

Diese Installation entwickelte Renate Herter für die Berliner Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) GEWALT/Geschäfte, die sich Mitte der 1990er Jahre aufgrund stetig zunehmender (rechtsradikaler) Gewalt nicht mit der „Normalität“ dieses Phänomens abfinden wollte, sondern stattdessen unter der Prämisse, Gewalt als Ware zu thematisieren, „[...] die (Selbst)Reflexion der Vermittlung bzw. der Ausübung von Gewalt in der Darstellung von Gewalt und der Darlegung ihrer Ursachen sowie der Machtverhältnisse, die sich darin einschreiben, [...]“ ins Zentrum ihres Interesses rückte.(10) Renate Herter lieferte insofern einen Beitrag zum Ausstellungsthema, als sie mit der „gewaltsam“ vorgenommenen Vernähung des Raumes den ursprünglichen Zustand als nicht mehr erfahrbar markierte. Der neu formulierte Raum weist zwar Ähnlichkeiten mit dem vorangegangenen auf, kann jedoch nicht mehr als identischer erlebt werden. Vielmehr nehmen die Veränderungen stetig zu, denn die Besucherinnen und Besucher produzieren im weiß vernähten Raum kontinuierlich Spuren, die sie dauerhaft hinterlassen.

Diese Rauminstallation Renate Herters gewinnt durch den Titel Weil ich es verlernt habe, zu Hause zu sein noch eine weitere, seine eigentliche Bedeutung. Dieser Satz, der zudem unmittelbar vor dem Ausstellungsraum in einem auf einer Konsole platzierten, aufgeschlagenen Buch in seinem Kontext zu lesen war, stammt aus einem Brief von Peter Szondi an Gershom Scholem vom 26. Februar 1970.(11) Peter Szondi (1929–1971) gehörte mit seiner Familie zu den über Tausend Menschen, die durch das sogenannte Kasztner-Abkommen in einer simulierten Tauschaktion von kriegswichtigen Gütern gegen die Freilassung ungarischer Juden aus Budapest bzw. aus dem KZ Bergen-Belsen im Dezember 1944 in der Schweiz aufgenommen worden waren. Als Überlebender eines Konzentrationslagers und heimatlos Gewordener bezeichnete er sich als „self displaced person“.(12) Seit 1965 hatte er den neugegründeten Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin inne, 1968 arbeitete er auf Einladung des befreundeten Religionswissenschaftlers und Philosophen Gershom Scholem, Professor für Jüdische Mystik und Kabbala, für ein Trimester als Gastprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Im genannten Brief lehnt Szondi ein Angebot Scholems ab, „für immer“ nach Israel zu kommen und einen Lehrstuhl für Komparatistik an der Hebräischen Universität zu übernehmen. In seiner Begründung führt Szondi eine Charakterisierung seiner Situation an, die nicht er selbst, sondern Scholem, der schon einmal im Jahre 1968 versucht hatte, Szondi dauerhaft nach Jerusalem zu holen, in einem früheren Gespräch formuliert hatte. Deshalb schreibt Szondi 1970: „Sie [Geshom Scholem] haben einmal in Jerusalem mit einem in seiner Hellsichtigkeit zwar nicht überraschenden, aber unvergesslichen Satz gesagt, warum ich in Deutschland lebe und wohl hier bleiben werde: weil ich es verlernt habe, zu Hause zu sein (ich war es in meiner Budapester Jugend so wenig wie in Zürich und streng genommen auch in anderem Sinn bei meinen Eltern nie). Das ist eine Krankheit, die man vielleicht mit der Rosskur einer, aus welchem Grund auch immer, notwendig werdenden Emigration heilen könnte; aus freiem Willen bringe ich die Kraft zu diesem Schritt umso weniger auf, als ich in Jerusalem vor zwei Jahren ja nicht nur empfand, dass ich dort zu Hause bin, sondern auch, dass ich das nicht ertrage. Dass ich das ändern könnte und sollte, weiss ich, aber dieses Wissen ist nicht stark genug, um den Widerstand in mir jetzt – und das heisst: so lange ich es in Deutschland aushalte – zu brechen.“(13)

Im Kontext dieses Briefes und der titelgebenden Textübernahme ist Renate Herters Installation als Metapher für Heimatlosigkeit als einer auch wesentlich raum- und ortsspezifisch begründeten Erfahrung zu lesen. Die Künstlerin thematisiert die Gewalt, die aufgrund politischer Machtausübungen bestimmten Menschen an konkreten Orten und in ganzen Territorien angetan wird, und die sich daraus ergebenden Folgen, die wiederum individuell als Gewaltausübungen schmerzlich, konfliktreich und mitunter als unüberwindbar erfahren werden. Nachhaltig rekurriert die Künstlerin auf Raum- und Orterfahrungen und artikuliert dabei das Gefühl des Rausgeworfen-Seins und des Rausgefallen-Seins als grundlegendes Problem von Migrant/inn/en. Renate Herter betont zudem, dass es keinen neutralen und keinen sich nicht stets neu modellierenden Raum und Ort gibt, wie kleinteilig und gering oder wie umfassend und wirksam diese kontinuierlichen Veränderungen auch wahrgenommen und erlebt werden – mit oft unüberbrückbaren Konsequenzen.

 

(10) Projektgruppe der NGBK [Ullmann-Matthias Hackert, Rainer Hörmann, Christine Kriegerowski, Frank Wagner, Gabriele Werner] , Vorwort, in: Ausst.-Kat. GEWALT/Geschäfte. Eine Ausstellung zum Topos der Gewalt in der gegenwärtigen künstlerischen Auseinandersetzung, hg. von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlin 1994, S. 6–8, S. 7 und 6.
(11) Peter Szondi an Gershom Scholem, Berlin-Grunewald, 26. 2. 1970, in: Peter Szondi, Briefe, hg. von Christoph König und Thomas Sparr, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, 2. Aufl. 1994, S. 301–305.
(12) Peter Szondi an Gershom Scholem, Berlin, 3. Mai 1969, in: ebd., S. 266–267, S. 267.
(13) Peter Szondi an Gershom Scholem, Berlin-Grunewald, 26. 2. 1970, in: ebd., S. 301–305, S. 303.

 

III. Wi(e)der kollektive(r) Gedächtniskulturen: Im Fluss
Mit den Konsequenzen der Diktatur des Nationalsozialismus und den diesbezüglichen komplexen Erinnerungskulturen, die von großen Widerständen, aber auch facettenreichen Wiederholungen geprägt sind, beschäftigt sich Renate Herter auch in ihrer jüngsten Installation Im Fluss (2008, Linz, OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich / Aktienkeller, im Rahmen der Ausstellung Tiefenrausch, Teilprojekt Strom des Vergessens; Abb. S. 72ff). Dieses Kunstwerk hat sie erneut für eine Ausstellung konzipiert, in diesem Fall in der Stadt Linz, in der die Beschäftigung mit der NS-Geschichte eine ortsspezifisch, aber auch realpolitisch besonders drängende Herausforderung darstellt, und für die Ausstellung Strom des Vergessens, die im Rahmen des Großprojekts Tiefenrausch im Jahre 2008 stattfindet, realisiert vom OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich für Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas innerhalb der ambitionierten Trilogie Kunst in die Stadt! (2007 fand die Ausstellung Schaurausch statt, 2009 soll Höhenrausch folgen).(14)

Die Künstlerin bezieht sich zum einen explizit auf das Ausstellungsthema Strom des Vergessens, das von den Kurator/inn/en unter Verweis auf die griechische Mythologie als ein Trinken aus dem Fluss Lethe erläutert wird, „[...], um alles irdische Leiden zu vergessen“ und mit Blick auf die Psychoanalyse, dass man „[...] das, was einmal war, verdrängen, aber nicht wirklich vergessen“ kann.(15) Zum anderen nimmt Renate Herter dezidiert Bezug auf den Ort der Ausstellung, den sogenannten Aktienkeller, einer großen historischen Stollenanlage im Zentrum von Linz am Fuße der „Gugl“ unterhalb des Botanischen Gartens. Diese Stollenanlage, die erstmals als Ort einer Kunstausstellung fungiert, wurde zusammen mit weiteren Kellern, wie dem sogenannten Märzenkeller, und einem Netz von Tunneln seit dem Frühjahr 1944 von Häftlingen des Konzentrationslagers Mauthausen, das in Oberösterreich unweit von Linz gelegen ist, bzw. des Mauthausener Außenlagers Linz II, so der von der SS verwendete Name, zu Luftschutzkellern ausgebaut und kontinuierlich als Parallelstadt etabliert. Dieser groß angelegte Stollenkomplex, der auf direkten Wunsch Adolf Hitlers so realisiert wurde, diente mit seinen bis zu sechs Meter hohen Gängen und einer Vielzahl an räumlichen Verzweigungen als Schutzraum bei Luftangriffen, allerdings nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Rüstungsindustrie, die ihre Produktion bzw. Materialdepots dorthin verlagert hatte. Das Skandalöse des Umgangs mit diesen Stollen- und Bunkeranlagen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und vielfach bis heute ist die Verdrängung, auch Vertuschung und Verleugnung der Tatsache, dass KZ-Häftlinge zum Bau dieser Stollen durch die SS gezwungen wurden und dort oft unmittelbar bis zu ihrem Tode zwangsarbeiten mussten.(16)

Genau an diesem Punkt des verdrängten Gedächtnisses setzt Renate Herter bei ihrer Installation Im Fluss an. Ihr besonderes Augenmerk gilt ortsspezifisch den zwangsarbeitenden KZ-Häftlingen und zentralen Konfliktpunkten wie dem Vergessen, Verschweigen und Verleugnen. Dieses kollektive Gedächtnis wird von der Künstlerin gewendet und im Sinne eines kollektiv adressierten Appells wider des Nicht-Erinnert-Werden-Wollens thematisiert. Ihre Bodeninstallation in einem der längsrechteckigen, etwa 6 mal 21 Meter großen Stollen, dessen Wandstruktur bis heute den von Hand bearbeiteten Stein erkennen lässt, handelt deshalb konkret von einem weißen Fluss und einem metaphorischen Verständnis von Fluss. Wir sehen in einem bis oben angefüllten Becken einen weißen „Fluss“, der fast ohne Begrenzung in den umliegenden, ebenfalls weißen Boden überzugehen scheint. Dieser „Fluss“, bestehend aus einer Mischung aus Weißöl und weißer Vaseline, in die Textpartikel eingelassen sind, wird von einem Rechen Tag und Nacht durchpflügt. Durch die Bewegung des Rechens im Raum von vorne nach hinten bilden sich Furchen, ja, Spuren auf der Oberfläche der Flüssigkeit und im Material selbst,(17) während bei der Bewegung von hinten nach vorne behutsam Glättungen vorgenommen werden. Dieses Durchpflügen, auch Durcharbeiten des „Flusses“ lässt die in ihm enthaltenen Textpartikel nicht wirklich sichtbar werden, obgleich sie integriert sind. Der „Fluss“ ist gleichermaßen als Ermöglichung des Verhandelten und des zu Verhandelnden zu verstehen oder, wie Renate Herter formuliert: „Material und zugleich Ort der (schweigenden) Inhalte“.(18) Das Oszillieren zwischen Bedeutungen, aber auch zwischen Funktionen wie des Einschreibens, Vergessens und gegebenenfalls auch Neu- Bearbeitens von Erinnerungen ist eine Prämisse dieser künstlerischen Visualisierung und auch generellen Thematisierung von Gedächtnis, Gedächtnispraxen und -theorien.

In diesem Zusammenhang interessieren die der Installation inhärenten Wortpartikel. Dabei handelt es sich, wie Renate Herter mitteilt, um Aussagen von Überlebenden des Außenlagers Linz II(19) und um Walter Benjamins Text Ausgraben und Erinnern (1932), ein Abschnitt der Sammlung kurzer Abhandlungen mit dem Titel Denkbilder.(20) Diese Texte hat die Künstlerin in mehreren Exemplaren in unzählige kleine Einzelteile „zer-locht“, indem sie die einzelnen Textblätter mit einem büroüblichen Locher in identische Kreise zerkleinert und diese Textfragmentierungen der weißen Flüssigkeit ihrer Bodeninstallation zugefügt hat. Von daher ist auch Walter Benjamins Argumentation mehrmals komplett enthalten, aber stets in Form sehr kleinteiliger Fragmentierungen. Passenderweise thematisiert Walter Benjamin in dem genannten Text den schwierigen Umgang mit dem Gedächtnis, das vom mentalen Gedächtnis bis hin zum Körpergedächtnis reichen kann, und plädiert für ein „Graben“, um sich mit der „verschütteten Vergangenheit“ auseinanderzusetzen,(21) die in verschiedensten, auch visuellen Interdiskursen wirksam werden kann. Dabei benennt Walter Benjamin eine „archäologische Allegorie“, wie Sigrid Weigel 1994 formuliert,(22) wenn er hervorhebt, dass das Gedächtnis „[...] das Medium des Erlebten [sei] wie das Erdreich das Medium ist, in dem die alten Städte verschüttet liegen“.(23) Dabei hebt Walter Benjamin konsequenterweise die besondere Relevanz des Ortes hervor: „So müssen wahrhafte Erinnerungen viel weniger berichtend verfahren als genau den Ort bezeichnen, an dem [man] ihrer habhaft wurde.“(24) Orte wiederum sind konkret mit Bildern und Erinnerungsbildern verknüpft, die als Gedächtnisspuren nachgezeichnet werden. Von daher geht es bei Walter Benjamins Gedächtnisbegriff um die Rekonstruktion von Assoziations­möglichkeiten und -ketten, die sich aus der „Verbindung verschiedener Bilder, Szenen, Worte und Namen“ zusammensetzen und das kulturelle Gedächtnis bilden.(25) Erst in der Verzahnung von kulturellem Gedächtnis, das sich zudem aus unterschiedlichen „Erinnerungsräumen“ zusammensetzt, und kommunikativem wie kollektivem Gedächtnis(26) lassen sich die Mechanismen und Strategien im Umgang mit Vergangenheit als erinnerter Geschichte analysieren und kommentieren.

Mit ihrer Installation Im Fluss realisiert Renate Herter eine spezifische Verknüpfung von Text und Ort in einem unmittelbaren, aber auch übergeordneten Sinne. Tag und Nacht nimmt sie Ver-Ortungen und Text-Verortungen von Gedächtniskulturen vor, aber auch von Wissen, Wissensmacht und Machtwissen. Damit unterstreicht sie in dieser Arbeit wie in ihrer Kunst insgesamt, so könnte man zusammenfassend sagen, folgende, von Michel Foucault 1967 formulierte Feststellung: „Unsere Zeit ließe sich [...] als Zeitalter des Raumes begreifen. Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und Zerstreuten. [...] Die Welt wird heute [...] verstanden [...] als ein Netz, dessen Stränge sich kreuzen und Punkte verbinden“(27) – auch wenn dies immer wieder insbesondere von Befürwortern einer homogenisierenden, hegemonialen Globalisierung zu leugnen versucht wird, anstatt gemäß Michel Foucaults Aussage von der Welt als Raum und des Raumes als Netz politisch verantwortungsvoll, insbesondere auch mit NS-Verbrechen und des oft unzulänglichen Umgangs in den letzten Jahrzehnten, zu operieren.

 

(14) Vgl. Ausst.-Führer Tiefenrausch. Linzer Unterwelten, OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, kuratiert von Genoveva Rückert, Martin Sturm und Rainer Zendron, Linz 2008.
(15) Ebd., S. 18 und Ausst.-Kat. Tiefenrausch. Strom des Vergessens, hg. vom OK Offenen Kulturhaus, kuratiert von Genoveva Rückert, Martin Sturm und Rainer Zendron, OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz 2008, Wien und Bozen: Folio 2008, Buchrückseite; vgl. zudem Martin Sturm und Rainer Zendron, „Im Strom des Vergessens“, ebd., S. 12–19.
(16) Vgl. kurz zusammengefasst Bertrand Perz, „Das Konzentrationslager Mauthausen und die Außenlager in Linz“, in: Fritz Mayrhofer und Walter Schuster (Hg.), Bilder des Nationalsozialismus in Linz, Linz: Archiv der Stadt Linz 1997, 2. Aufl. 2007, S. 95–101, ferner ausführlich Bertrand Perz, „Auf Wunsch des Führers ...“. Der Bau von Luftschutzstollen in Linz durch Häftlinge des Konzentrationslagers Linz II, in: Zeitgeschichte, Jg. 22, Heft 9/10, Sept. /Okt. 1995, S. 342–356, und Gabriella Hauch (Hg.), Industrie und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus: Mercedes Benz – VW – Reichswerke Hermann Göring in Linz und Salzgitter, Innsbruck, Wien u. a.: Studien-Verlag 2003.
(17) Der Begriff der Spur ist mit Jacques Derrida semiologisch als eine unabschließbare Bewegung zu verstehen, die eine stetige Veränderung und Veränderbarkeit unseres Denkens markiert. Vgl. Jacques Derrida, Grammatologie , aus dem Französischen von Hans-Jörg Rheinberger, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, 2. Aufl. 1988 (Orig.: De la grammatologie, Paris: Minuit 1967) und ferner Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.), Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.
(18) Renate Herter über: Renate Herter, „Im Fluss“, 2008, in: Ausst.-Kat. Tiefenrausch. Strom des Vergessens, hg. vom OK Offenen Kulturhaus, kuratiert von Genoveva Rückert, Martin Sturm und Rainer Zendron, OK Offenes Kulturhaus Oberösterreich, Linz 2008, Wien und Bozen: Folio 2008, S. 74–77, S. 75.
(19) Entnommen dem Aufsatz von Bertrand Perz, „Nationalistische Konzentrationslager in Linz“, in: Fritz Mayrhofer und Walter Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Bd. 2, Linz: Archiv der Stadt Linz 2002, S. 1041–1094.
(20) Walter Benjamin, „Ausgraben und Erinnern“ (1932), in: Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Bd. IV/1: Kleine Prosa / Baudelaire Übertragungen, hg. von Tillman Rexroth, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 400–401. Vgl. zudem Renate Herter in: Ausst.-Kat. Tiefenrausch. Strom des Vergessens, Linz 2008 (wie Anm. 18), S. 75 und Renate Herter im Gespräch mit der Verfasserin in Linz am 30. Mai 2008.
(21) Ebd., S. 400.
(22) Sigrid Weigel, „Von der Topographie zur Schrift – Zur Genese von Benjamins Gedächtniskonzept“, in: Kunstforum International, Bd. 128, Okt.–Dez. 1994: Zwischen Erinnern und Vergessen. Transitorische Turbulenzen II , S. 120–128, S. 121 und weiterführend Sigrid Weigel, Bilder des kulturellen Gedächtnisses. Beiträge zur Gegenwartsliteratur, Frankfurt am Main: Tende-Verlag 1994.
(23) Benjamin [1932] 1991 (wie Anm. 20), S. 400.
(24) Benjamin [1932] 1991 (wie Anm. 20), S. 401.
(25) Weigel 1994 (wie Anm. 22), S. 127.
(26) Vgl. besonders Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München: Beck 1999 und Jan Assmann, „Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität“, in: ders. (Hg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 9–19. Unter Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht vgl. vor allem Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit und Silke Wenk (Hg.), Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des Nationalsozialistischen Genozids, Frankfurt am Main und New York: Campus 2002.
(27) Michel Foucault, „Von anderen Räumen“ (1967/84), aus dem Französischen von Michael Bischoff, in: Michel Foucault, „Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits“, Bd. 4, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 931–942, S. 931 (Orig.: „Des espaces autres“, in: Michel Foucault, Dits et Ecrits, Bd. 4, Paris: Gallimard 1994, S. 752–762), wiederabgedruckt in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S. 317–327.

 

Barbara Paul, Professorin für Kunstgeschichte und Kunsttheorie/ Gender Studies, Kunstuniversität Linz (bis 2008), seit 2008 Professorin für Kunstgeschichte, Universität Oldenburg